Er hat sich verhaspelt! So hat er es doch gar nicht gemeint! Die Grünen bemühen sich um Schadensbegrenzung innerhalb der Koalition im Südwesten Deutschlands. Stuttgart 21 wurde halbwegs gemeistert - ebenso die Atompolitik. Doch ausgerechnet in der Mobilität schlagen die Wellen hoch. So meinte der designierte Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, dass ihm weniger Autos lieber wären, als mehr! Ein schwerer Fauxpas, den sich der Vorzeige-Grüne Deutschlands im Land der Autobauer erlaubt hat. Aus der bisherigen Liebesheirat zwischen grün und rot ist nun doch wieder eine traute Zweisamkeit ohne Ehering geworden. Dieser Tage wurde in Stuttgart der 100 Seiten starke grün-rote Koalitionsvertrag präsentiert. Herrscht in den meisten Punkten inzwischen Einigkeit, so wurde in einigen strittigen Bereichen noch bis zuletzt heftigst debattiert. Einerseits ging es dabei um die Verteilung der Ressorts, andererseits um die künftige Wirtschafts- und Industriepolitik. Die SPD unter ihrem Spitzenkandidaten Nils Schmid drängte in einige Schlüsselressorts und forderte nicht weniger als fünf der insgesamt neun Ministerposten. Schliesslich stellen die Grünen ja den Ministerpräsidenten. Dieser jedoch erteilte dem Ganzen eine Absage, denn seine Partei verfügt über ein Mandat mehr als der Koalitionspartner. Keineswegs kann somit von einer Partnerschaft auf Augenhöhe gesprochen werden. Einigkeit hingegen herrscht in der Bildungspolitik (flächendeckend Ganztagesschulen und mehr Kinderkrippen) sowie beim Ausstieg aus der Atompolitik. Doch könnte hierbei der Rückkauf der EnBW-Anteile noch wesentlich teurer kommen, da zum damaligen Zeitpunkt der Berechnungen der Atomstrom als Fixpunkt einkalkuliert wurde. Keine wirkliche Entscheidung gab es bei Stuttgart 21. Beide Parteien bleiben bei ihrem bisherigen Kurs - die Grünen lehnen den Tiefbahnhof nach wie vor ab, die SPD befürwortet ihn. Ebenso gehen die Meinungen auch beim Strassenbau in unterschiedliche Richtung. Während allerdings S21 offen blieb, einigten sich die Koalitionspartener darauf, das bestehende Strassennetz zu erhalten und die begonnenen Projekte weiterzuführen. Erst dann können, mit einem wesentlich niedrigeren Budget als durch die CDU vorgesehen, neue Planungen angegangen werden. Und hier hat sich Kretschmann gegenüber der Bild am Sonntag verheddert. Er meinte, dass weniger Autos besser seien als mehr. Daneben beschwerte er sich über eine unbequeme Sitzposition im Porsche! Damit hatte er sich gleich in zwei grosse Fettnäpfchen gesetzt. Einerseits ist Baden Württemberg mit den Standorten von Daimler, Audi und Porsche als Automobilland zu bezeichnen. Weit mehr als 200.000 Arbeitsplätze in der Autoherstellung und Zulieferungsindustrie sind betroffen, wenn der Autoverkauf stagniert! Andererseits gilt Porsche nach wie vor als das Statussymbol schlechthin. Während der Koalitionspartner SPD die Arbeitsplätze verteidigen möchte ("Jede baden-württembergische Landesregierung hat Benzin im Blut!"), geht den Grünen der Umstieg auf die Öko-Schiene noch zu langsam. Kretschmann will Mobilitäskonzepte ankurbeln. Verärgerte Reaktionen folgten unmittelbar von Daimler und Porsche - aber auch der Gewerkschaft IG Metall. So warnte etwa der Betriebsratsvorsitzende bei Porsche, Uwe Hück, davor, die Ängste in der Automobilbranche auch weiterhin zu schüren. Man wolle hier nicht in die Schmuddelecke gestossen werden. Die meisten der produzierten Autos gehen ohnedies in den Export. 2008 waren es knapp neun von elf Millionen. In China beispielsweise finden grosse und schnelle Fahrzeuge reissenden Absatz. Bevor allerdings die ungeteilte Aufmerksamkeit auf Elektroautos oder sonstige Alternativen gelegt werden kann, müsse das Optimierungspotential beim Verbrennungsmotor ausgeschöpft werden. Parallel dazu werden milliardenschwere Investitionen fällig. Doch gehe dies alles nicht von heute auf morgen, so Hück. Ähnliches ist auch aus den Produktionshallen von Daimler zu vernehmen. So betonte Vorstandsvorsitzender Dieter Zetsche gegenüber der Illustrierten "Bunte", dass das Unternehmen durchaus weiss, "wo unsere Zukunft liegt und wie wir uns entwickeln werden!" Auch bei Daimler werde die Entwicklung alternativer Antriebe mit Hochdruck vorangetrieben. Kretschmann hat inzwischen seinen Ausspruch relativiert, nachdem es auch aus dem benachbarten Bayern und Hessen harsche Kritik hagelte: "Die Zeit des billigen Öls ist vorbei und der Klimawandel schreitet rasant voran. Deshalb ist es nicht nur ökologisch geboten, sondern auch betriebswirtschaftlich zwingend notwendig, dass unsere heimischen Autos weniger Energie verbrauchen!" Bei der Entwicklung solcher umweltfreundlicher Fahrzeuge hat der künftige Regierungschef die Unterstützung des Landes angeboten. Baden-Württemberg wird auch weiterhin die Heimat des Autos bleiben - auch wenn es in Zukunft Elektrofahrzeuge sein werden. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 16 KW 18 | 04.05.2011 |
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